25-09-2009 Nr. 39 1979 Beijing Rundschau Nur der Sozialismus kann China retten von Xu Deheng
Anläßlich der 30. Wiederkehr des Gründungstags der VR China hat unsere Zeitschrift verschiedene Persönlichkeiten gebeten, ihre Gedanken zu Papier zu bringen. Hier der erste Artikel dieser Serie. — Die Red. Ich bin jetzt 90 Jahre alt. Die letzten 30 Jahre habe ich im Neuen China verbracht, die 60 Jahre davor im alten China. Damals war das Land sozusagen eine Hölle auf Erden, und diese Zeit hat bei mir schreckliche Erinnerungen hinterlassen. In den Jahren 1904 und 1905, ich war noch ein Kind, lieferten sich Japan und Rußland auf chinesischem Boden einen Krieg. Die damalige chinesische Regierung aber erklärte sich neutral, wollte nicht eingreifen. Die Kaiserinwitwe Ci Xi, die damals die eigentliche Macht der Qing-Dynastie in der Hand hatte, verschloß die Augen vor der Tatsache, daß unser Territorium verwüstet und das Volk massakriert wurde. Sie verschanzte sich in ihrer Sommerresidenz in Chengde, 250 km von Beijing entfernt, und führte ein Leben in Saus und Braus. Eins war allen Herrschern des alten China, von der Kaiserinwitwe Ci Xi bis zu Tschiang Kai-schek, gemeinsam: Sie alle rutschten vor den ausländischen Mächten auf den Knien und sahen im Volk nur eine nutzlose Masse. Ausländer besaßen im alten China Konzessionen und genossen Exterritorialität. Die feudalen Militärmachthaber, Bürokraten und Kompradoren, die mit den Imperialisten kollaborierten, saßen dem Volk im Nacken. Aber wo es Unterdrückung gibt, da gibt es auch Widerstand. Die Massen erhoben sich wiederholt gegen Imperialismus, und Feudalismus: Ich kann mich noch an ein Ereignis am Ende der Qing-Dynastie erinnern, ich war damals Mittelschüler. In meinem Heimatkreis Jiujiang, Provinz Jiangxi, hatte ein Ausländer einen Chinesen getötet, und diese Tat hatte die Bevölkerung ungeheuer empört. Der damalige Kreisvorsteher Jiang Shaotang verurteilte den Mörder zum Tod, und das Urteil wurde auch vollstreckt. Aber Jiang wurde deshalb seines Amtes enthoben und von einem kaiserlichen Inspekteur geköpft. Im halbfeudalen und halbkolonialen alten China war es fast die Regel, daß die hohen Beamten Angst vor den Ausländern hatten, die Ausländer dagegen vor den Massen. Das chinesische Volk kämpfte zwar unablässig gegen Feudalismus und Imperialismus, konnte aber keinen tatsächlichen Sieg erringen, weil dieser Kampf nicht von einer proletarischen Partei geführt wurde und nicht mit der Perspektive Sozialismus verbunden war. Nach der Oktoberrevolution veröffentlichte Genosse Li Dazhao, ein Vorkämpfer der chinesischen Revolution, zwei glänzende Artikel mit dem Titel ,,Sieg des gemeinen Volkes“ und ,,Sieg des Bolschewismus“. Kurz darauf brach die 4. Mai-Bewegung aus. Die demokratische Revolution in China betrat einen neuen Weg. Unter Führung der Kommunistischen Partei Chinas und des Genossen Mao Zedong hat das chinesische Volk die drei großen Berge — Feudalismus, Imperialismus und bürokratischen Kapitalismus — abgetragen und ist aufgestanden. Durch die sozialistische Umgestaltung und den sozialistischen Aufbau ist auf dem Boden des alten China, das einst arm und rückständig war, ein sozialistisches neues China mit beginnender Prosperität entstanden. In den 30 Jahren seines Bestehens hat das Neue China unter Führung der KP Chinas und des Vorsitzenden Mao trotz der ungeheuren Sabotage Lin Biaos und der ,,Viererbande“ und trotz dieses oder jenes Fehlschlags in der Arbeit eine sozialistische Industrie aufgebaut, die landwirtschaftliche Produktion gesteigert, Wissenschaft, Kultur und Erziehungswesen entwickelt und das Leben des Volkes sichergestellt und verbessert — Dinge, die in der alten Gesellschaft unvorstellbar gewesen wären. Seit der 4: Mai-Bewegung sind bereits 60 Jahre vergangen. Wenn ich als geschichtlicher Zeuge der letzten 60 Jahre die ersten 30 Jahre mit den letzten 30 Jahren vergleiche, dann wird mir immer wieder klar, daß der sozialistische Weg für China der einzige Ausweg ist. Die verschiedenen Theorien, die seit der 4. Mai-Bewegung das chinesische Volk vom sozialistischen Weg ablenken wollten, sowie die pseudosozialistischen ultralinken Phrasen Lin Biaos und der ,,Viererbande“, die zehn Jahre lang Verbreitung gefunden hatten, wurden von der revolutionären Strömung des wissenschaftlichen Sozialismus schließlich hinweggespült. Vor einem halben Jahrhundert nahmen viele chinesische Jugendliche die sozialistische Revolution in Rußland als Vorbild. Vor und nach meiner Inhaftierung in der 4. Mai-Bewegung nahm ich auch an den Aktivitäten einer sozialistischen Studiengruppe an der Beijing-Universität teil. Später ging ich als Werkstudent nach Frankreich, wo ich sehr stark von den chinesischen Kommunisten Zhou Enlai, Zhao Shiyan, Xiang Jingyu, Cai Hesen und Chen Yi beeinflußt wurde. Mir wurde immer klarer, daß der Kapitalismus unpraktikabel, der Reformismus undurchführbar war, daß die Volksdemokratie erst garantiert, die moderne Wissenschaft in China erst entwickelt und Land und Volk gerettet werden konnten, wenn das chinesische Volk, geführt von der KP Chinas, den sozialistischen Weg einschlug. Im ersten Revolutionären Bürgerkrieg (1924-1927) kehrte ich von Frankreich nach China zurück und war in der Militärakademie Huangpu (Whampoa) als politischer Instrukteur tätig. Vor und nach dem Verrat Tschiang Kai-scheks an der Revolution beantragte ich den Eintritt in die KP Chinas. Die Parteiorganisation überredete mich, außerhalb der Partei zu arbeiten, denn dies sei günstiger für die Gewinnung von mehr demokratischen Persönlichkeiten. Bei Leuten wie mir ließen die Reaktionäre jedoch in ihrer Verfolgungspolitik nicht nach. Ich propagierte aktiv den Widerstand gegen die japanische Aggression und die nationale Rettung, wurde aber deshalb verfolgt. Ich wurde zweimal ins Gefängnis geworfen, mein Haus wurde zweimal durchsucht und alles zerstört. Dreimal verlon ich meinen Universitäts-Lehrstuhl. 1932, als ich an der Beijing-Universität lehrte, ließ Tschiang Xiaoxian, ein Neffe von Tschiang Kai-schek und Kommandeur eines Polizeiregiments, mich und die Professoren Ma Zhemin und Hou Wailu insgeheim verhaften. Da die Witwe von Dr. Sun Yatsen, Song Qingling, sowie Lu Xun und Cai Yuanpei im Namen der ,,Liga für Menschenrechte“ für uns eintraten, und auch weil die Kuomintang-Reaktionäre vor der Stärke der antijapanischen Kampagne der Kommunisten und des Volkes zurückwichen, wagten sie nicht, uns heimlich hinzurichten. Sie mußten uns freilassen. Als ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, gaben mir die Reaktionäre ein Bankett, um sich angeblich zu entschuldigen. Dabei warf ich den Tisch um. Im Jahre 1937 unternahmen die japanischen Militaristen einen Großangriff auf China. Am dritten Tag nach dem Fall von Beijing wurde mein Haus von japanischen Aggressoren durchsucht. Ich war damals schon nach Tianjin geflohen und begab mich dann mit meiner Familie nach Chongqing, dem Sitz der Kuomintang-Regierung, wo ich meine Lehrtätigkeit wiederaufnahm und mich in der demokratischen Bewegung betätigte. In Chongqing wurde mein Haus bei einem Bombenangriff japanischer Aggressoren total zerstört. Erst nach zwei Wochen gelang es mir, eine neue Wohnung zu finden. Die damalige Kuomintang-Regierung kümmerte sich in keiner Weise um die Not des Volkes. Die Kuomintang-Reaktionäre begingen sogar Landesverrat, um ihre Positionen zu sichern. Unterschlagungen waren bei ihnen an der Tagesordnung. In den 22 Jahren der Herrschaft Tschiang Kai-scheks über China wurden ununterbrochen Bürgerkriege geführt, was zur völligen Verelendung des Volkes führte. Dagegen erhöhten die vier Familien Tschiang, Song, Kong und Chen ihre Einlagen in ausländischen Banken ganz gewaltig. In den sieben Jahren, in denen Tschiang Kai-schek seinen Regierungssitz in Chongqing hatte, ließ er jährlich das Volk für eine Straßenbrücke über den Changjiang (Yangtse) spenden. Die Bevölkerung spendete alle sieben Jahre, aber das Geld floß in die Taschen korrupter Kuomintang-Beamter. Der Changjiang bei Chongqing war nicht einmal besonders breit, aber trotz Sammlungen wurde kein einziger Brückenpfeiler gebaut. Erst nach der Befreiung wurden drei Brücken bei Wuhan, Nanjing und Chongqing errichtet. Auch das neue Gesicht von Beijing widerspiegelt die riesigen Unterschiede zwischen dem alten und dem neuen China. Nach dem Sieg im antijapanischen Krieg kam ich von Chongqing nach Beiping (Beijing) und lehrte wieder an der Beijing-Universität als Professor. Damals waren viele Gassen voller Müllhaufen, mancherorts bis zu drei, vier Meter hoch. Im Kaiserpalast lag sogar noch Unrat aus der Ming-Dynastie (1368-1644), der erst nach der Befreiung beseitigt wurde. In der alten Gesellschaft waren Maisklöße das Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung, und jedes Jahr starben auf den Straßen viele Bettler an Hunger und Kälte. Bei Reis und Weizenmehl war man auf Importe angewiesen. Die Industrie war total rückständig. Alltägliche Bedarfsartikel mußten importiert werden, wie z.B. Petroleum, Streichhölzer, Baumwollstoffe, Jacken und Strümpfe, um nur einige Beispiele zu nennen. Man war nicht in der Lage, solche Artikel herzustellen. Heute besitzt Beijing eine relativ entwickelte sozialistische Industrie und Landwirtschaft. Unser Land ist zwar nicht reich, aber die neunhundert Millionen Menschen haben genügend Nahrung und Kleidung, was in der alten Gesellschaft unvorstellbar war. In der alten Gesellschaft ging es auch mir materiell und gesundheitlich nicht besonders gut. Sechs von den sieben Jahren, die ich während des antijapanischen Krieges in Chongqing verbrachte, litt ich an Malaria. Einheimische Medikamente waren so gut wie nicht erhältlich, und sogar Chininpillen mußte man in Hongkong zu hohen Preisen kaufen. Ich konnte mir nicht genügend solcher Pillen leisten, jedes Jahr nur einige wenige. So konnte ich die Malaria nicht kurieren. Heute haben wir eine reichhaltige Auswahl an Medikamenten, westlichen wie traditionell-chinesischen. Die Arbeiter und Angestellten genießen kostenlose medizinische Betreuung. Ohne das sozialistische neue China wären alte Leute wie ich schon längst gestorben. 1968 wurde bei mir Darmkrebs diagnostiziert. Zu jener Zeit herrschte — unter Lin Biao und der ,,Viererbande“ — in den Krankenhäusern ein Durcheinander. Aber als Ministerpräsident Zhou Enlai von meiner Krankheit hörte, wies er das Beijing-Krankenhaus telefonisch an, mich gut zu untersuchen und zu behandeln. Durch sorgfältige Operation und Pflege erfreue ich mich seit 12 Jahren guter Gesundheit. Wenn ich an die Vergangenheit denke, fühle ich mich noch enger mit der Kommunistischen Partei und dem Sozialismus verbunden. Sodann hat das Zentralkomitee der Partei unter dem Genossen Hua Guofeng im Namen des Volkes die ,,Viererbande“, diese Plage für Land und Volk, zerschlagen. Die glorreiche Tradition der Partei, die Wahrheit in den Tatsachen zu suchen, wurde wiederhergestellt und weiterentwickelt. Während früher die ,,Viererbande“ nach Belieben schalten und walten konnte, sind heute vor dem Gesetz alle gleich. Fehlurteile wurden revidiert, die Opfer rehabilitiert; sobald ein Fehler entdeckt wird, wird er korrigiert. Wer den sozialistischen Aufbau untergräbt, wird nach dem Gesetz bestraft, und Konterrevolutionäre müssen unterdrückt werden. Die Tatsachen beweisen, daß unsere Partei aus eigener Kraft ein Geschwulst am eigenen Körper entfernen und ihre Fehler korrigieren kann. Gerade weil das chinesische Volk auf seinem sozialistischen Weg von einer solchen Partei geführt wird, werden die vier Modernisierungen verwirklicht werden können. Die Partei führt auf allen Gebieten eine richtige Politik durch. 1965, ich war damals Minister für Wasserprodukte, gelang es, die Hochseefischerei zu entwickeln, indem die Richtlinie der Partei ,,Regulierung, Konsolidierung, Ergänzung und Niveauhebung“ korrekt durchgeführt wurde. Damals konnten wir sogar Krebse nach Japan exportieren. Später konzentrierte sich die Landwirtschaft nur auf die Getreideproduktion, Viehzucht und Fischerei wurden vernachlässigt. Heute hat die Partei zwecks Entwicklung der Volkswirtschaft erneut die Richtlinie ,,Regulierung, Umgestaltung, Konsolidierung und Niveauhebung“ herausgegeben. Dieser Richtlinie zufolge muß entsprechend den Gesetzen der Natur und der Wirtschaft die Proportion zwischen Landwirtschaft, Leicht- und Schwerindustrie sowie das Verhältnis innerhalb der Landwirtschaft reguliert werden. Dies garantiert nicht nur eine allseitige Entwicklung der sozialistischen modernen Industrie, sondern auch der Landwirtschaft, der Forstwirtschaft, der Viehzucht, des Nebengewerbes und der Fischerei. Dies wird eine positive Rolle spielen bei der Veränderung der Nahrungsmittelstruktur des chinesischen Volkes (kleinerer Anteil des Getreides als Nahrungsmittel, größerer Anteil von tierischem Eiweiß und von Milchprodukten). Von meinen Erfahrungen her finde ich diese Richtlinie korrekt. In Hinsicht auf das Jahr 2000 bin ich durchaus der Ansicht, daß China die vier Modernisierungen (Landwirtschaft, Industrie, Landesverteidigung, Wissenschaft und Technik) bis dahin verwirklichen kann. Bei einer Sache, die von der Kommunistischen Partei Chinas geführt wird, bin ich voller Zuversicht. Da ich nicht erst postum zum Mitglied der Kommunistischen Partei erklärt werden wollte, beantragte ich an meinem 90. Geburtstag die Aufnahme in die Partei. Der Antrag wurde von der Parteiorganisation genehmigt. Daß ich nun an meinem Lebensabend ideologisch wie organisatorisch der Kommunistischen Partei Chinas beigetreten bin und mein seit einem halben Jahrhundert gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen ist, freut mich außerordentlich. Für mich ist das eine ganz besondere Ehre. Ich hoffe, daß ich zur sozialistischen Modernisierung nach chinesischem Muster noch weiter beitragen kann.
Der Autor Xu Deheng ist einer der Führer der antiimperialistisch-antifeudalen Bewegung des 4. Mai 1919. Er ist heute stellvertretender Vorsitzender des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses, stellvertretender Vorsitzender des Landeskomitees der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes und Vorsitzender der Jiu-San-Gesellschaft.
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