Bildhauer und Akademiedirektor Wu Weishan
Der bekannte Bildhauer Wu Weishan ist fünfzig Jahre alt, sieht aber zwanzig Jahre jünger aus. Er wurde in eine Gelehrtenfamilie in der Provinz Jiangsu geboren. Heute ist er Direktor des Forschungsinstituts für bildende Kunst an der Nationalen Akademie der Künste und Präsident der Akademie für Bildhauerei. Seit mehr als 25 Jahren befasst er sich mit Bildhauerei. Sein Werk „Schlafendes Baby" wurde 2003 in Großbritannien mit dem Pangolin-Preis (seit 2009 Telos-Preis) ausgezeichnet. Für die begehbare Plastik vor der Gedenkhalle für die Opfer des von der japanischen Armee verübten Nanjing-Massakers und die Arbeit „Laozi: die Vereinigung von Himmel und Mensch" erhielt er den "Preis für Leistungen um die Bildhauerei im öffentlichen Raum".
Seine Arbeiten werden von staatlichen und privaten Museen in China und in Übersee gesammelt, etwa in den USA, England und den Niederlanden. In Südkorea gibt es einen eigenen Park für Skulpturen von Wu Weishan. Im Nanjing Museum wurde eine Halle eigens für seine Porträtbildhauerei berühmter Gestalten der Kulturgeschichte eingerichtet. Wu Weishan betont in seinem Schaffen stets "chinesischen Geist, chinesischen Geschmack und den Stil der Moderne". Im Interview mit der Beijing Rundschau spricht er über die Auswahl des Künstlernachwuchses, die Rolle von Kunst und Künstlern in der Gesellschaft und die Verbreitung chinesischer Kultur im Ausland.
Neue Maßstäbe bei der Bewertung künstlerischen Nachwuchses
Bei der Diskussion innerhalb der Gruppe Kunst und Kultur auf der 5. Tagung der XI. Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes (KKCV) wurde Kritik am gegenwärtigen Stand der Ausbildung künstlerischen Nachwuchses und den Maßstäben in der Beurteilung von Künstlern laut. Anstatt blind auf einen möglichst hohen Studienabschluss als Magister oder Doktor zu setzen, sollte der praktischen Begabung der Künstler mehr Beachtung geschenkt werden. Nur so könne die Qualität künstlerischer Arbeiten erhöht werden.
Wu Weishan erklärt der Beijing Rundschau, dass „Kunstschaffende wie Sänger, Tänzer und Maler über eine große Begabung verfügen müssen, um sich in ihrem Metier behaupten zu können. Daher dürfen gute Zensuren in den Universitätsprüfungen nicht die einzigen Kriterien für die Auswahl des Nachwuchses sein, sonst laufen wir Gefahr, das Talent junger Leute zu verschütten und sie von geeigneter Ausbildung und Förderung ihrer künstlerischen Fähigkeiten auszuschließen." Nach Wu ist es beim Aufstellen der Lehrpläne für die Ausbildung künstlerischen Nachwuchses unabdingbar, Begabung und Charakter der Eleven in den Mittelpunkt zu stellen und zielgerichtet zu fördern.
„Bislang legen wir zu viel Wert auf den Nachweis von Allgemeinbildung, so dass Studenten künstlerischer Fächer unter hohem Druck stehen," so Wu weiter. Wer heute traditionelle chinesische Oper studiert, muss Leistungsnachweise im Fach Englisch erbringen, wenn er einen anerkannten Studienabschluss erwerben will. Aber Fremdsprachenkenntnisse sind für Künstler der volkstümlichen chinesischen Opern vollkommen überflüssig. Die Schauspieler werden gezwungen, viel Zeit für Englischlernen zu opfern, ohne dass dies im mindesten ihrer Kunst zugute käme. Die Opernensembles und Hochschulen sollten ihre Standards ändern, aber auch die Künstler selbst müssten umdenken und ihren Ehrgeiz auf die Vervollkommnung ihres künstlerischen Ausdrucks lenken, anstatt nur einen möglichst prestigeträchtigen Studienabschluss anzustreben.
Für Wu Weishan legen die Hochschulen zu viel Wert auf formales Wissen und theoretische Kenntnisse. Künstlerische Begabungen ließen sich so nicht fördern. Wer sich auf dem Gebiet der Kunst auszeichnet, verdient eine bevorzugte Behandlung. Der berühmte Maler Qi Baishi begann als Bauernkind und Autodidakt ohne jegliche formale Ausbildung. Dennoch wurde er von Xu Beihong als Professor an die Zentrale Akademie der Bildenden Künste in Beijing berufen: „Sein Talent und seine künstlerischen Leistungen waren über jeden Zweifel erhaben, einer Lehrtätigkeit als Professor war er ohne weiteres gewachsen. Heute hingegen können viele Dozenten ellenlange Diplomzeugnisse vorweisen, scheitern aber an der Aufgabe, einen kreativen Unterricht zu bieten. Ihnen mangelt es an Begabung und der Fähigkeit zu künstlerischem Ausdruck. Das ist ein großes Problem", so Wu.
Wenn heute ein Künstler die Möglichkeit erhält, an wichtigen Ausstellungen teilzunehmen, sich Bekanntheit erwirbt und Auszeichnungen erhält, kann man davon ausgehen, in ihm ein herausragendes Talent vor sich zu haben. Solchen Leuten sollte der Karriereweg geebnet werden. Man kann innerhalb von drei Jahren promovieren, dazu ist sicherlich Fleiß und Durchhaltevermögen gefordert. Aber zu einem herausragenden Sänger, Tänzer oder Maler wird man nicht durch Fleiß allein. Dazu bedarf es einer Begabung, die möglichst früh gefördert werden muss.
Wu ist der Ansicht, dass in China die Naturwissenschaften überbetont werden. Intellektuelle Tätigkeit wird oft auf naturwissenschaftliche Wissensgebiete beschränkt. Aber auch das Kunstschaffen ist intellektuelle Arbeit, die nicht weniger anstrengend sei: „Diese Tätigkeit übt großen Einfluss auf das Geistesleben der Epoche aus und fördert den Fortschritt von Kultur und Gesellschaft." Der Wert naturwissenschaftlicher und technischer Errungenschaften sei leicht zu vermitteln, weniger augenfällig seien hingegen künstlerische Leistungen, die deshalb häufig unterschätzt würden. Hier wünscht sich Wu eine stärkere Würdigung von Kunst und Künstler durch die Gesellschaft.
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