Zurzeit besteht ein Waffenembargo der EU und der USA gegen China. Sie haben vorhin gesagt, dass der Abstand zwischen China und den entwickelten Staaten im Westen hinsichtlich der Militärtechnologie sehr groß sei. Vielfach wird von einem Rückstand von 20 bis 30 Jahren gesprochen. Woran zeigt sich dieser Abstand? Wie lässt sich dieser Abstand verringern?
Unsere Militärdoktrin geht vom „Gewinnen regional begrenzter Kriege unter den Bedingungen der verstärkten Anwendung der Informationstechnologie" aus. Unser Rückstand zeigt sich darin, dass wir noch nicht durch selbstständige Innovation an die internationale Entwicklung der Waffentechnologie anschließen können. Aber auch der „menschliche Faktor" ist bei uns noch sehr unterentwickelt. Das heißt, die Ausbildung von Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten, die in der Lage wären, einen Krieg unter den Bedingungen des Informationszeitalters zu führen, steckt noch in den Anfängen.
Die Tradition der Volksbefreiungsarmee beruht auf den zehn militärischen Prinzipien von Mao Zedong, dem ehemaligen Staatspräsidenten. Eine Kernthese besagt, mit überlegenen Kräften die Oberhand zu gewinnen, um eine siegreiche Entscheidungsschlacht zu erzwingen. Aus heutiger Perspektive besteht eine überlegene militärische Kraft nicht mehr in übermächtiger Feuerkraft, sondern in der Verfügung über Informationen. Bei diesem veränderten Anforderungsprofils der Armee kommt es nicht nur auf die Qualität der Waffen und technischen Patente an, sondern auch auf den „Faktor Mensch". Dazu zählt das Bildungsniveau, die technischen Fachkenntnisse und die Führungsfähigkeit im Kriegsfall. Dabei handelt es sich nicht nur um die Frage, wie viele Magister und Doktoren wir in unseren Reihen zählen. Die Wissenschaft vom Kriege ist ein sehr spezifisches Fach, man kann weder im Labor Experimente durchführen, noch im Bürodienst Erfahrungen sammeln. Es ist eine Wissenschaft, die ihre Daten in der Praxis erhebt, deshalb brauchen wir Leute mit höchster Eignung und ausgeprägten Fähigkeiten. Wir haben jetzt ein tieferes Verständnis dafür entwickelt, welches Anforderungsprofil wir an die Leute stellen müssen. Eine hohe Intelligenz und ein qualifizierter Bildungsgang allein reichen dabei nicht aus. Verantwortungsbereitschaft und Pflichtgefühl, Teamfähigkeit, Tapferkeit, Willensstärke und Opferbereitschaft zählen ebenso dazu, wie die Beherrschung moderner Waffentechnik.
Über den Abstand in der Waffentechnik zwischen China und den entwickelten Ländern wird viel gesprochen, aber der Abstand in der Qualifikation der Soldaten wird zu wenig erwähnt. Tatsächlich finde ich, dass die Erhöhung der Qualifikationen von Offizieren und Soldaten einen wichtigen Beitrag zur Verringerung des Abstandes leistet. Aber Krieg ist natürlich stark an Waffentechnik, Rüstungsgüter und Übungsmöglichkeiten gebunden. Es ist unmöglich, ohne die Bereitstellung entsprechender Einrichtungen, die sich auf dem neuesten Stand der Technik befinden, Personal für den Kriegseinsatz auszubilden. Man muss die technische Ausrüstung auf den Menschen abstimmen und dabei die Qualifikation des Personals erhöhen. Ohne den „menschlichen Faktor" zu berücksichtigen, lässt sich nicht gut von der Qualität der Bewaffnung sprechen. Beide Faktoren, Mensch und Technik, sind wichtig, aber unsere erste Aufmerksamkeit sollte heute dem Menschen gelten.
Ich habe über die vielzitierte „friedliche Entwicklung Chinas" einige deutsche Sinologen befragt. Sie denken, dass China schon seit der Antike den Schwerpunkt auf die Verteidigung legte. Gründet auch die aktuelle chinesische Militärdoktrin auf der Verteidigung?
Ja, unsere Verteidigungsstrategie und das Weißbuch für Verteidigung betonen vor allem aktive Verteidigung. Das kann auch der Westen nicht verneinen. Seit der Antike, aber vor allem auch in der Neuzeit hat sich China hauptsächlich verteidigt. China hat keine militärischen Interventionen großen Umfangs unternommen, China hat nicht angekündigt, im Ausland Militärstützpunkte zu errichten. China braucht dies auch gar nicht, weil wir kein Interesse daran haben, ein Sprungbrett für Interventionen in anderen Ländern zu schaffen. Das unterscheidet uns zum Beispiel von der Marine der Vereinigten Staaten, die angekündigt hat, sechzehn wichtige Wasserwege zu kontrollieren, darunter die Straße von Gibraltar, den Suezkanal und den Panamakanal. Die Haltung der USA offenbart das Streben nach globaler Herrschaft, es ist die Haltung eines Hegemons. China nimmt die Haltung der Verteidigung ein. Es geht darum, in einer begrenzten Region die eigenen Interessen zu verwirklichen und zu schützen. Wir streben nicht nach globaler Herrschaft.
Sie sprachen davon, dass es das Wesen der Armee sei, durch Waffengewalt die Sicherheit des Staates zu wahren und Abschreckungspotential zu entfalten. Abschreckung ist keine Kriegsstrategie, sondern eine Strategie der Friedenswahrung. Wie beurteilen Sie die Fähigkeit der chinesischen Armee zur Abschreckung? Erhöht die Indienstnahme eines Flugzeugträgers das Abschreckungspotential der Volksbefreiungsarmee?
Unsere Armee hat bereits in gewissem Sinne Abschreckungskraft entwickelt. Der Respekt, den wir in der Welt genießen, beinhaltet auch Respekt vor unseren Streitkräften. Kommandeure der Armee, darunter der Generalstabschef und der Oberbefehlshaber der Marine, wurden bei Besuchen in den USA von hochrangigen Gesprächspartnern empfangen. Dies ist nicht der Ausdruck des Respekts gegenüber einzelnen Persönlichkeiten, sondern Ausdruck des Respekts vor unserer militärischen Kraft. Das hat mich tief beeindruckt.
Durch unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung haben wir uns einen gewissen Respekt erworben, der auch mit unserem Abschreckungspotential zu tun hat. Wir müssen aber klar erkennen, dass dieses Potential längst noch nicht dem wirtschaftlichen Rang Chinas entspricht. Wir müssen die Abschreckungskraft unserer Armee verstärken. Ich muss zugeben, dass wir in der Vergangenheit den Begriff „Abschreckung" zurückgewiesen haben, weil wir ihn fälschlich für ein Drohmittel der westlichen Länder hielten, mit dem sie andere Länder zu unterdrücken suchten. Aber heute haben auch wir dieses Konzept übernommen. Für China als Entwicklungsland ist Abschreckung ein geeignetes Konzept zur Wahrung der Sicherheit des Landes. Denn Abschreckung heißt nicht, Krieg zu führen, sondern dem Gegner Einhalt zu gebieten, bevor er das Risiko des Kampfes auf sich nimmt. Durch so ein Gesamtkonzept wird Krieg vermieden. Aus dieser Perspektive betrachtet, haben wir bereits Abschreckungspotential entfaltet, aber es reicht noch nicht aus, wir sollten es weiter ausbauen.
Der Schwerpunkt unserer Bemühungen sollte in Zukunft auf der Behebung unserer Schwächen liegen. Unser Heer bildete lange Zeit die Hauptkraft unserer Armee. Die Ehre unserer Waffen stammte in der Vergangenheit fast ausschließlich vom Heere. Heute sind jedoch die Erfordernisse der Sicherheit des Staates und der Rüstungsbedarf ganz anderer Natur. Deshalb müssen wir großen Wert auf die Stärkung unserer lange Zeit vernachlässigten Teilstreitkräfte legen, darunter die Marine. Luftwaffe und die Zweite Artillerie . Nur dann wird es uns gelingen, ein überzeugendes Szenario der Abschreckung aufzubauen.
Der Beitrag des Flugzeugträgers zum Konzept der Abschreckung ist ein äußerst geringer. Der gerade in Dienst gestellte erste Flugzeugträger Chinas ist lediglich eine Einrichtung zur Ausbildung von Seeleuten und Piloten. Es handelt sich dabei nicht um ein Waffensystem, das reales Kampfpotential entfaltet. Bis wir von der abschreckenden Wirkung von Flugzeugträgern sprechen können, wird noch viel Zeit vergehen.
|