19-03-2012
Tagungsthemen
Jin Yinan: Mehr Geld für die Landesverteidigung ist Investition in Chinas Sicherheit
von Zeng Wenhui

Jin Yinan, ein bekannter Wehrexperte, Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes und Direktor des Instituts für strategische Studien der National Defense University PLA China

Ministerpräsident Wen Jiabao betont  im diesjährigen Tätigkeitsbericht der Regierung:"Die Fähigkeiten zur Erfüllung vielfältiger militärischer Aufgaben, von denen die Fähigkeit zum Gewinnen regional begrenzter Kriege unter den Bedingungen der verstärkten Anwendung der Informationstechnologie den Kern bildet, sollen ständig erhöht werden." Wie ist dieser Satz zu verstehen? Sind Chinas Militärausgaben zu hoch? Erzielt Chinas Armee eine ausreichende Abschreckungswirkung gegenüber möglichen Gegnern? Am 8. März hat Generalmajor Jin Yinan, ein bekannter Wehrexperte, Mitglied des Landeskomitees der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes und Direktor des Instituts für strategische Studien der Universität für Landesverteidigung der VBA, Zeng Wenhui, der Reporterin der Beijing Rundschau ein Exklusivinterview gegeben.

 

Beijing Rundschau: Auf der ersten Pressekonferenz der fünften Tagung des Nationalen XI.Volkskongresses (NVK) hat der Sprecher des NVK, Li Zhaoxing, bekannt gegeben, dass im Jahr 2012 der Wehretat Chinas 670,274 Milliarden Yuan betragen soll und damit gegenüber dem Vorjahr ein Wachstum von 11,2 Prozent aufweist. 2011 betrug das Budget 601,1 Milliarden Yuan mit einem Jahreswachstum um die 12,7 Prozent. Spielt sich das Wachstum der Rüstungsausgaben in einer angemessenen Größenordnung ab?

Jin Yinan: Aus wirtschaftlicher Perspektive betrachtet spiegelt die Steigerung des Wehretats das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts. Aus wehrpolitischer Sicht entspricht das Wachstum den immer breiter gefächerten Aufgaben, die sich Chinas Landesverteidigung stellen. Die aktuelle Situation ist mit den Verteidigungsaufgaben der Vergangenheit gar nicht zu vergleichen. In den 1950er und 1960er Jahren ging es lediglich um den Schutz des Territoriums, der Hoheitsgewässer und des Luftraums. Heute hingegen muss China seine Interesse in einem weiteren Umfang wahren.  Im internationalen Kräftevergleich, in der Entwicklung moderner Militärstrategie, in der Entwicklung von Hi-Tech Waffen und angesichts der aktuellen Tendenzen im Feld dessen, was als „Cyberwar" bezeichnet wird, steht das Wehrwesen Chinas vor sehr ernsten Herausforderungen. Zur Wahrung der Sicherheit des Landes ist es deshalb erforderlich, die Rüstungsausgaben zu erhöhen.

 

Auf welchem Niveau liegt Chinas Verteidigungsbudget im Vergleich mit dem der entwickelten Staaten?

Der Wehretat Chinas entspricht nur einem Fünftel bis einem Sechstel des  Militärbudgets der USA. Zwar erscheint die Gesamtsumme des chinesischen Militärbudgets relativ hoch, aber wenn wir die Ausgaben auf die Kopfzahl des aktiven Militärpersonals umlegen, ergibt sich ein großer Abstand zu den Verteidigungsaufwendungen der USA, Japans, Frankreichs, Deutschlands und Südkoreas. Es verhält sich ähnlich wie beim Bruttoinlandsprodukt. Zwar  verfügt China über die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, aber wenn man vom BIP pro Kopf der Bevölkerung ausgeht, ist China noch ein Entwicklungsland. Unsere Aufwendungen pro Kopf der Soldaten halten noch lange nicht Schritt mit den Rüstungsausgaben moderner Armeen des Westens.

 

Sie sprechen von einem nach wie vor großen Abstand zwischen China und den entwickelten Staaten bezüglich der Militärausgaben pro Kopf. Wie lassen sich begrenzte finanzielle Mittel im Bereich der Landesverteidigung in eine möglichst große Kampfkraft umsetzen?

Begrenzte finanzielle Mittel in effektive Kampfkraft zu verwandeln ist das Kernstück der Reformen im chinesischen Militärwesen.

Überall im Lande wird eine Regulierung der Wirtschaftsstruktur gefordert. Die chinesische Armee unterliegt einem ähnlichen Wandlungsprozess. Wir müssen uns auf unsere Kernaufgaben besinnen. Dies erfordert ein neues Verteidigungskonzept und die Erfüllung vieler Aufgaben, die nichts mit militärischen Aktivitäten zu tun haben. Die Armee soll vorläufig noch Aufgaben erfüllen, die nicht zum Kernbereich der Landesverteidigung zählen, wie die Wahrung der inneren Sicherheit. Immer wichtiger wird es allerdings, die Operations- und Reaktionsgeschwindigkeit der Armee zu erhöhen, so dass sie unter den Bedingungen des verstärkten Einsatzesder Informationstechnologie in der Lage ist, schnell zu reagieren. Dies ist für die Armee heute eine sehr ernste Aufgabe. Man muss den aktuellen Entwicklungslinien der Militärtechnologie in der Welt folgen. 

 

Ministerpräsident Wen Jiabao hat im Tätigkeitsbericht der Regierung hervorgehoben: "Die Fähigkeiten zur Erfüllung vielfältiger militärischer Aufgaben, von denen die Fähigkeit zum Gewinnen regional begrenzter Kriege unter den Bedingungen der verstärkten Anwendung der Informationstechnologie den Kern bildet, sollen ständig erhöht werden." Wie ist dieser Satz zu verstehen? Was ist mit „vielfältigen militärischen Aufgaben" gemeint?

China verfolgt eine Strategie aktiver Verteidigung, eine so genannte Vorwärtsverteidigung. „Gewinnen regional begrenzter Kriege unter den Bedingungen der verstärkten Anwendung der Informationstechnologie" ist nach der Auffassung der USA eine ganz konservative Einstellung. Die USA streben danach, einen regionalen Krieg von großem Umfang zu gewinnen, und daneben noch über genug Abschreckungspotential zu verfügen. Unsere militärische Aufgabenstellung, die Prinzipien der Armeeführung und der Einsatz militärischen Potentials sind ganz verschieden von denen der USA. Vor dem Hintergrund des Prinzips der „aktiven Verteidigung" entspricht die Formulierung „Gewinnen regional begrenzter Kriege unter den Bedingungen der verstärkten Anwendung der Informationstechnologie" dem aktuellen Sicherheitsbedürfnis Chinas.

Mit „vielfältigen Aufgaben" sind Kriegs- und Friedenseinsätze gemeint. Zum Beispiel Rettungsarbeiten bei großen Katastrophen oder die Evakuierung von Landsleuten aus dem Ausland in Krisensituationen. Die chinesische Armee hat sich sowohl an umfangreichen Katastropheneinsätzen im Inland wie auch an Hilfsmaßnahmen im Ausland beteiligt, zum Beispiel bei der Bekämpfung der Folgen des Tsunami im Indischen Ozean. Chinas staatliche Rettungsteams umfassen auch Militärangehörige, darunter Ärzte, Ingenieure, Techniker und Pioniertruppen. Wir haben auch Einheiten der Volksbefreiungsarmee für UN-Friedensmissionen abgestellt. Derzeit sind im Rahmen dieser so genannten Blauhelmeinsätze mehr als 1000 chinesische Soldaten im Ausland tätig. Zudem hat die Armee auch an der Evakuierung chinesischer Landsleute aus Ägypten und Libyen teilgenommen. Nie zuvor hatten wir uns mit solchen Aufgaben zu beschäftigen. Auch in Zukunft werden derartige Einsätze zum Aufgabenfeld der Armee zu rechnen sein. 

Diese vielfältigen Aufgaben werden auch die Kosten der Armee erhöhen, ein Großteil der Kosten entsteht unvorhersehbar, etwa im Rahmen der Katastrophenhilfe nach einem Erdbeben. So war das etwa nach dem Erdbeben in Wenchuan, der südwestchinesischen Provinz Sichuan. Dort waren fast alle Teilstreitkräfte im Einsatz: Heer, Marine, Luftwaffe und Marineinfanterie. Die Bereitstellung von schwerem Gerät und Hilfsgütern sowie die Rettung von Menschen aus Notlagen kosten viel Geld. Daraus sind der Armee Sonderbelastungen erwachsen. Im Wehretat sind sie klar ausgewiesen, aber sie sind nicht Bestandteil des Wehretats, sondern werden aus den Mitteln anderer Ressorts bestritten.

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