28-12-2010
Tagungsthemen
Internationale Beziehungen und globale Sicherheit im Jahr 2010
von Li Qingyan

 

Neupositionierung Europas

Europa hatte sich gerade von der Finanzkrise erholt, da geriet die Eurozone in eine Staatsschuldenkrise und befindet sich gegenwärtig in der schwersten Bewährungsprobe seit ihrer Gründung.

Im Zeichen der Schuldenkrise, deren Überwindung in der EU die höchste Priorität genießt, stagniert die Umsetzung des Vertrags von Lissabon. Innerhalb der EU konkurrieren Mitgliedsländer heftig um die Macht, was die EU zweifellos daran gehindert hat, seinen diplomatischen Einfluss auszuspielen und seinen internationalen Rang zu erhöhen.

In diesem Jahr konzentrierte sich die EU auf eine Neudefinition ihrer Außenbeziehungen. Die europäische Staatengemeinschaft glaubt, dass ihr Wohlstand und ihre Sicherheit in wachsendem Maße von Veränderungen in der Außenwelt abhängig sind. Sie ist sich darüber im Klaren, dass die Schwellenländern mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Interessen in vollem Umfang an der Neuordnung des internationalen Staatensystems teilnehmen.

Auf der Grundlage dieser beiden Einsichten hat sich die EU neue diplomatische Ziele gesteckt: die EU soll eine wirksame Führungsrolle in der Weltpolitik spielen, europäische Werte und Interessen verteidigen, mit den Schwellenländern zusammenarbeiten und darauf hinwirken, dass diese ein Gleichgewicht herstellen zwischen ihren Rechten und Pflichten.

Das neue Strategiepapier, das auf dem NATO-Gipfel in Lissabon im November vorgelegt wurde, spiegelt die Sicherheitsbedenken der europäischen Länder wider.

Die Situation in Afghanistan, die asymmetrischen Bedrohungen und die Entwicklungsrichtung der Schwellenländer sind die drei wichtigsten Anliegen bzw. größten Besorgnisse der europäischen Länder. Die EU bevorzugt politische und diplomatische Mittel bei der Lösung von Konflikten. Zu militärischen Maßnahmen sollte nach Meinung der Europäer nur im Ausnahmefall gegriffen werden. 

 

Führungsansprüche

Die G20 ist inzwischen zu einer Bühne geworden, auf der die großen Mächte um Einfluss auf die neue internationale Ordnung kämpfen. Im Mittelpunkt des Wettbewerbs stehen die Rahmenbedingungen für ein ausgewogenes Wachstum der Weltwirtschaft und die Reform des internationalen Finanzsystems.

Auf dem G20-Gipfel im November in Seoul war der Wettbewerb um die Setzung von Regeln extrem hart. Obwohl die USA nicht alle Tagesordnungspunkte des Gipfels dominieren konnten, brachten sie ihre Interessen dennoch über die wichtigsten Punkte der Agenda ein. Darüber hinaus versuchen sie nach Kräften, ihren Status als regelsetzende Kraft der G20 zu wahren.

Obwohl die G20 in zwei Lager – Industrie- und Entwicklungsländern – gespalten ist, herrscht keineswegs Einigkeit innerhalb dieser Lager. Die Staaten bilden oft lockere Interessensgemeinschaften, sind aber weit entfernt von einem tiefergehenden Konsens.

Im Wettbewerb um die Führung im internationalen Staatensystem streben die Westmächte nicht nur danach, ihre ureigenen Interessen zu wahren, sondern wollen auch die Entwicklung des internationalen Systems zu ihren Gunsten gestalten. Aufstrebende Mächte – darunter China – setzen jedoch darauf, einen Status zu erlangen, der ihrer Stärke und ihrem Entwicklungspotential entspricht.

 

Mit der Entwicklung der internationalen Lage werden sich die Konflikte zwischen den beiden Seiten wahrscheinlich verschärfen.

 

 

Die Autorin ist Forscherin am Institut für Internationale Beziehungen, einer Denkfabrik des chinesischen Außenministeriums

 

   <   1   2