29-10-2010
Tagungsthemen
Zinserhöhung: Beruhigungsmittel für Chinas Markt?
von Jin Duoyou

Am Abend des 19. Oktober war die 27-jährige Li Rui gerade von der Arbeit nach Hause zurückgekehrt. Im Fernsehen erfuhr sie von der Zinserhöhung: „Das kam diesmal aber sehr plötzlich", meint sie, „es gab gar keine Anzeichen dafür." 

Tatsächlich ist die Zinserhöhung für viele Leute eine große Überraschung. Vor kurzem hatte Zhou Xiaochuan, Chef von Chinas Zentralbank, auf der Jahrestagung des IWF und der Weltbank noch gesagt: „In diesem Jahr wird China die Zinsen nicht erhöhen."

So war die Überraschung groß, als es zehn Tage später ganz anders kam.

Der Homepage der Zentralbank zufolge wird der Leitzins für einjährige Einlagen und für Darlehen um je 0,25 Punkte angehoben. Nach der Erhöhung liegt in China der Zins für Einlagen nun bei 2,5 Prozent und der Zins für Darlehen bei 5,56 Prozent.

Es ist die erste Erhöhung des Leitzinses seit Dezember 2007. Um der im Jahr 2008 ausgebrochenen internationalen Finanzkrise zu begegnen, hat die Zentralbank danach fünfmal den Leitzins für Darlehen und viermal den für Einlagen gesenkt.

 

Inflation und Minuszins führen zur Zinserhöhung

Li Rui arbeitet in der Zweigstelle von TUI in Beijing. Das jährliche Einkommen ihrer Familie beträgt ungefähr 120 000 Yuan (umgerechnet 12 995 Euro). Durch die Hilfe ihrer Eltern konnten sich Li Rui und ihr Mann eine Wohnung und ein Auto anschaffen, ohne dabei Schulden anzuhäufen. Normalerweise können Li Rui und ihr Mann, der als Redakteur bei der „Beijing Evening News" arbeitet, sogar jedes Jahr etwas zur Seite legen. Seit Beginn dieses Jahres hat Li allerdings bemerkt, dass es für ihre Familie immer schwieriger wird, Geld zu sparen. Als Li in ihrem Haushaltsbuch nachschlug, war sie überrascht. Die Ausgaben der letzten neun Monate haben bereits die Gesamtausgaben im Vorjahr überschritten. Die Ursache liegt auf der Hand: Li und ihr Mann haben nicht etwa mehr eingekauft, sondern die Lebenshaltungskosten sind kräftig gestiegen.

„Letztes Jahr haben wir im Monat durchschnittlich nur ungefähr 1500 Yuan (162 Euro) ausgegeben, während dieses Jahr die Ausgaben pro Monat schon bei 2200 Yuan (240 Euro) liegen. Ich sehe ganz deutlich, dass dieses Jahr alles teuerer geworden ist. Wenn man ein paar Sachen im Supermarkt kauft, muss man dafür mindestens 80 Yuan (8,60 Euro) bezahlen. Der Preis für Gemüse ist wahnsinnig gestiegen. Letztes Jahr kosteten Stangenbohnen im Gemüsemarkt nur 3,60 Yuan (39 Euro-Cent) pro Kilo, diese Jahr 6 Yuan (65 Cent) pro Kilo! Nicht nur der Preis für Lebensmittel, sondern auch der Benzinpreis ist rasant gestiegen."

„Das Geld ist immer weniger wert", so der Eindruck der Chinesen, und die Statistiken geben ihnen Recht.

Nach Angaben des Staatlichen Statistikamtes ist der chinesische Verbraucherpreisindex (CPI) im September um 3,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und um 0,61 Prozent im Vergleich zum August gestiegen. Brancheninsider meinen, dass wegen steigender Lebensmittel- und Immobilienpreise der Verbraucherpreisindex kontinuierlich hoch bleiben wird. Immobilien und Lebensmittel haben zu neunzig Prozent zu den Preiserhöhungen beigetragen.

Dazu meint Professor Li Daokui, Mitglied des Komitees für die Währungspolitik der Zentralbank, dass sein Haus aufgrund der Sorge um inflationäre Tendenzen den Leitzins erhöht habe. Da sich die gegenwärtige Inflation auf einem hohen Niveau bewegt und auf dem Markt weitere inflationäre Tendenzen erwartet werden, ist eine Erhöhung der Leitzinsen die einzige Wahl für Chinas Zentralbank. 

He Liping weist darauf hin, dass der Zweck der Zinserhöhung allein darin bestehe, den Anstieg der Konsumentenpreise zu dämpfen und den Immobilienmarkt abzukühlen.

 

Auch Minuszins zwingt zur Erhöhung der Leitzinsen

Minuszins bedeutet, dass die Inflationsrate höher liegt als der Zinsertrag für Einlagen. Legt man unter diesen Umständen sein Geld in Spareinlagen an, wird man mit Schrecken feststellen, dass sich das Vermögen nicht vermehrt, sondern verringert. 

Der Minuszins kann dazu führen, dass Spareinlagen aus den Banken abgezogen werden. Die Leute wollen dann ihr Geld lieber auf dem Kapitalmarkt oder in anderen Märkten investieren, was zur Überhitzung der Wirtschaft beitragen kann.

Seit Februar 2010 herrscht bis heute der Minuszins. Derzeit beträgt die Inflationsrate ungefähr 3,5 Prozent. Nach der Zinsenerhöhung liegt der Zins für einjährige Einlagen bei 2,5 Prozent. Der Minuszins herrscht also immer noch über Spareinlagen in China. 

„Obwohl eine einmalige Zinserhöhung den Minuszins noch nicht überwinden kann, wird man sie doch als eine Stellungnahme der Regierung werten können", sagt Gao Shanwen, Chefökonom der Investmentfirma Essences.

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