21-10-2010
Tagungsthemen
Verlängerung der Lebensarbeitszeit

 

Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist in China ein sehr umstrittenes Thema. Zur Situation auf dem Arbeitsmarkt hat die Regierung am 10. September ein Papier vorgelegt, in dem erwogen wird, das Rentenalter auf 65 Jahre anzuheben. He Ping, Sprecher des Arbeitsministeriums, legte dar, dass der Start des Arbeitnehmers in die Rente künftig alle drei Jahre um ein Jahr angehoben werden soll. Das Rentenalter für weibliche Arbeitnehmer soll ab 2010 angehoben werden, für Männer ab 2015. Die Vorschläge wurden ausgearbeitet, weil sich die öffentlichen Pensionskassen durch die steigende Zahl von Rentnern einem wachsenden Defizit ausgesetzt sehen.

Gegenwärtig beträgt das gesetzliche Rentenalter für Männer im Regelfall 60 Jahre und für Frauen 55. Wer in Branchen tätig ist, die durch schwere körperliche Arbeit geprägt sind, oder unter hohen Temperaturen oder im Untertagebau sowie in anderen gesundheitsgefährdenden Bereichen arbeiten muss, kann sich bereits mit 55 beziehungsweise 45 Jahren berenten lassen. Das Papier der Regierung zur Rentenpolitik führt aus, dass im Jahr 2035 zwei Steuerzahler für einen Rentner  aufkommen werden müssen.

Die Rentendebatte kennt zwei Lager: die einen begrüßen eine Anhebung des Rentenalters, um dadurch den Druck auf die Pensionskassen zu reduzieren, der durch eine rasch alternde Gesellschaft verursacht wird. Andere machen geltend, dass bei einer längeren Verweildauer im Berufsleben jüngere Jobsucher benachteiligt werden, denen der Zugang zum Arbeitsmarkt dadurch zusätzlich erschwert würde. 

 

PRO

Wang Yanzhong, Soziologieprofessor

Es ist unverzichtbar, dass in China schrittweise über mehrereJahrzehnte das Renteneintrittsalter angehoben wird. Mit der Wirtschaftsentwicklung und der Änderung der Bevölkerungsstruktur erhöht sich der Druck auf die Renten und zwingt die Regierung dazu, Maßnahmen zu ergreifen.

In Anbetracht von Arbeitsfähigkeit und Fitness der Bürger scheint die Erhöhung des Rentenalters als ein sinnvoller Einsatz von Ressourcen. Das gegenwärtige Rentensystem wurde in den 50er Jahren geschaffen und beruht auf der damaligen mittleren Lebenserwartung. Sie betrug seinerzeit vierzig Jahre. Heute aber sieht es ganz anders aus, deshalb sollte auch das Renteneintrittsalter geändert werden. Anderenfalls verschwenden wir wertvolle Ressourcen.  

Außerdem glaube ich, dass bei einer Frühverrentung der Arbeitsmarkt nicht entlastet wird, da viele dieser Frührentner wieder eine Arbeit finden. Obwohl es heute viele Arbeitssuchende gibt, geht der langfristige Trend in Richtung Mangel an Fachkräften. Wenn diese Phase des Arbeitskräftemangels erreicht sein wird, ist es zu spät, das Rentenalter zu erhöhen.

 

Bai Ming

Blog.cnfol.com

Ich bin für eine Erhöhung des Rentenalters, denn dies ist vernünftig und pragmatisch.

Erstens gibt es eine gesetzliche Grundlage für die Anhebung des Renteneintrittsalters. Die chinesische Verfassung billigt den Bürgern das Recht, aber auch die Pflicht zur Arbeit zu. Genau genommen hat man, solange man über die bürgerlichen Rechte verfügt, auch das Recht auf Arbeit. Frauen über 55 und Männer über 60 bilden darin keine Ausnahme.

Zweitens ist es eine Verschwendung von Talenten, Menschen früh in Rente gehen zu lassen. Menschen um das 60. Lebensjahr sind meistens in guter körperlicher Verfassung und haben eine enorme Berufserfahrung. In Anbetracht ihres Gesundheitszustandes, ihrer Erfahrung und der hohen Ausbildungskosten sollten sie weitere Verwendung im Arbeitsleben finden. 

Drittens ist eine Erhöhung des Rentenalters auch unter demographischer Perspektive unverzichtbar. Trotz des gegenwärtigen Überangebots an Arbeitskräften zeichnet sich für die Zukunft ein Mangel an qualifizierten Fachkräften ab. Die Erhöhung des Rentenalters ist also eine gute Antwort auf den Arbeitskräftemangel der Zukunft.

 

Huang Runlong

Professor an der Universität Nanjing

Die Anhebung des Renteneintrittsalters wird die sozialen Sicherungssysteme entlasten und die Folgen der demographischen Situation abmildern. Ich denke nicht, dass es einen allzu gravierenden Einfluss auf die Arbeitsmarktsituation von Universitätsabsolventen haben wird, denn die Befähigung ist das entscheidende Kriterium bei der Jobsuche. Eine Erhöhung des Rentenalters kann sogar die Motivation der Studenten erhöhen, sich besser für den Arbeitsmarkt der Zukunft zu qualifizieren. Viele Staaten haben von einer Anhebung des Rentenalters profitiert. Viele erfahrene Fachkräfte leisten einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft, deshalb sollten wir Menschen auch nach ihrem sechzigsten Lebensjahr Gelegenheit bieten, ihre Talente weiterhin zu entfalten.   

 

KONTRA

Zhou Peng'an

Forum. Xinhuanet.com

Ich denke nicht, dass es gegenwärtig gerechtfertigt ist, das Renteneintrittsalter anzuheben. Die Ebbe in den Pensionskassen ist kein überzeugender Grund für eine Anhebung des Rentenalters, denn die chinesische Regierung ist finanziell in der Lage, die Rentenzahlungen sicherzustellen. Chinas Rentensystem wird erst seit zwanzig Jahren aufgebaut. Anfangs waren die Löhne der Arbeiter relativ niedrig, während ein Großteil der Unternehmensgewinne als Steuern an den Staat abgeführt wurde. Deshalb sollten die Rentner von der Regierung finanziell unterstützt werden. 

Wer sich für eine Anhebung des Rentenalters ausspricht, ist meistens im öffentlichen Dienst oder in Staatsbetrieben tätig; seine Ruhegelder werden meist aus Steuergeldern bestritten. Für die große Mehrheit der einfachen Arbeitnehmer aber bedeutet eine Anhebung des Renteneintrittsalters nicht nur erhebliche Nachteile, sondern auch eine Beleidigung: Ihr Einkommen reicht kaum fürs Überleben; wenn sie zu einer längeren Lebensarbeitszeit gezwungen werden, so bedeutet dies nur, dass sie noch mehr Geld in die Rentekasse einzahlen müssen, aber nur ein Ruhegeld in der gleichen Höhe beziehen wie zuvor. 

 

Tian Hai

Ycwb.com

Für die Mehrzahl der Menschen ist es unfair, wenn das Rentenalter angehoben würde, nur weil die Pensionskassen leer sind! Für ein Land mit einem Überschuss an Arbeitskräften ist es besser, wenn die Älteren der Jugend den Vortritt lassen. Viele Senioren würden liebend gern früher in Rente gehen, um mehr Zeit für ihre Familien zu haben und das Leben zu genießen. Die Mehrheit der Arbeitnehmer haben als Arbeiter harte körperliche Tätigkeiten verrichtet. Sie werden einfach nicht genug Kraft aufbieten können, um jenseits der sechzig noch arbeiten zu können. Eine Erhöhung des Rentenalters würde ihre Gesundheit ruinieren. Diese neue Regelung kann nicht erfolgreich eingeführt werden. Gegenwärtig arbeiten die meisten Menschen in privaten Betrieben, die profitorientiert sind. Diese Unternehmen werden lieber junge Leute einstellen, denn die sind leistungsfähig und mit einem geringeren Lohn zufrieden zu stellen. Mit wachsender Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses steigen die Löhne und der Anspruch auf Sozialleistungen, was die Gewinne des Unternehmens reduziert. Die Betriebe würden also vermehrt ältere Mitarbeiter ausstellen, die dann viele Jahre bis zum Rentenanspruch überbrücken müssten, was neue soziale Probleme schaffen würde.

 

Zhao Jianxiong

Qlwb.com.cn

Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters würde zu neuen Formen sozialen Ungleichgewichts führen. Unternehmen müssen für ältere Mitarbeiter höhere Sozialversicherungsbeiträge abführen. Das macht es für sie unmöglich, neue kreative Talente zu günstigem Tarif anzuwerben, denn 70 Prozent aller Sozialbeiträge werden von den Unternehmen abgeführt, eingeschlossen Beiträge für Versorgungsrenten, Krankenkassenbeiträge, Beiträge zur Arbeitslosenversicherung,  zu Versicherungskassen und Einzahlungen für Bausparverträge. Auch wäre es unmöglich, die gängige Praxis der Wiedereinstellung gut ausgebildeter Ruheständler beizubehalten. Einige ältere Arbeitnehmer haben gar kein Interesse an Weiterbeschäftigung, sie sind der Ansicht, ihren Beitrag für die Gesellschaft geleistet zu haben, jetzt möchten sie endlich mehr Zeit für sich selbst haben.  

Diejenigen, die keiner Vollzeitbeschäftigung nachgegangen sind, stehen den Plänen zur Anpassung des Rentenalters ebenfalls ablehnend gegenüber. Sie müssen durch freiwillige Beiträge selbst für ihre Sozialleistungen aufkommen. Würde das Rentenalter angehoben, so bedeutete dies für sie höhere Beiträge, was zu einer Schwächung dieses Personenkreises führte.